Schlechte Stimmung in der Biotechnologiebranche

Die jährliche Umfrage zu Trends und Erwartungen in der Biotech-Branche, die von BIO Deutschland durchgeführt wird, hat die schlechtesten Werte seit dem Beginn der Erhebung erbracht. Die Stimmungslage bei den Teilnehmern – etwa 125 Unternehmen aus einem Pool von rund 1.000 Firmen – ist äußerst pessimistisch.

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Der Branchenverband BIO Deutschland e.V. hatte zur Vorstellung der neuesten Ergebnisse der jährlichen Umfrage geladen und die Stimmung in der Branche vorweggenommen: „Hoffnungslos? Die Deutsche Biotechnologie-Branche – Finanzierung und Trends nach dem Krisenjahr 2022“ lautet die Überschrift, um dann im Weiteren die aktuelle Lage der deutschen Biotechnologie-Branche und die Trends für die Zukunft zu beleuchten. 

Und die Stimmung ist schlecht, so schlecht wie sie sich bisher noch nie in dieser jährlichen Umfrage dargestellt hat. Das Barometer zur aktuellen Geschäftslage rutscht von knapp 100 Punkten auf 88 deutlich ab, die Hoffnungen auf die künftige Geschäftslage sogar noch stärker von 95 auf nurmehr 77 Punkte. Nur ein Viertel der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen geht von einer verbesserten Geschäftslage in den kommenden Monaten aus. Viele weitere Indices weisen nach unten, die zukünftige Beschäftigungslage, die Zufriedenheit mit dem politischen Klima, Hoffnungen auf zukünftige politische Entscheidungen, die der Branche gut tun – all das ist deutlich abgerutscht, meist auch deutlich unter die sonst üblichen Werte vor der Corona-Pandemie.

Für den Branchenverband zeigt sich damit deutlich, dass der Höhenflug der Coronajahre vorüber ist. Das Wachstum an Beschäftigung sowie Umsätzen und gute Gewinne einzelner Unternehmen fehlten nun, wo die Pandemie deutlich abklinge. Auch in der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung habe sich die Biotechnologie von einem Hoffnungsträger und wortwörtlichen Heilsbringer zu einer „ganz normalen“ Innovationsbranche zurückgewandelt.

Dies lässt sich in Zahlen ausdrücken. Nach der vorläufigen Erhebung von BIO Deutschland bleibt die externe Finanzierung im vergangenen Jahr deutlich unter der Milliardenschwelle. Private und Public Equity halten sich dabei mit rund 450–460 Mio. Euro in etwa die Waage. Die großen Finanzierungen einer Curevac und anderer wie im Jahr 2021 fehlen nun. Die von der BIOCOM AG erhobenen Zahlen weisen ebenfalls in diese Richtung.

Die Diskrepanz auch in der gefühlten Wahrnehmung einzelner Branchenbeobachter rührt zum einen von der guten Stimmung auf den großen Partneringkonferenzen her, etwa einer BIO Europe in Leipzig im Oktober. Aber auch von den Unternehmen, die zumindest im vergangenen Jahr noch weiterhin von der Impfstoffnachfrage oder der Diagnostik auch als Zulieferer oder produzierendes Unternehmen profitiert haben. Die deutlich positiven Geschäftszahlen von Biontech, Sartorius, Wacker, Roche, Qiagen und vielen anderen stehen in starkem Kontrast zum Stimmungsbild der Teilnehmer an der BIO-Deutschland-Umfrage.

Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, konstatiert: „Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigen, dass sich die Stimmung in Biotech-Unternehmen deutlich verschlechtert hat. Das ist sehr bedauerlich, in Anbetracht der globalen Entwicklungen im letzten Jahr allerdings nicht allzu überraschend. Die Gründe für den schwindenden Optimismus sind sicher vielfältig. Neben Krieg, Energiekrise und Inflation bremsen Fachkräftemangel und fehlende Finanzierungsoptionen unsere Unternehmen aus. Der Einbruch der Börsenkurse, vor allem an der für uns so wichtigen US-amerikanischen Technologiebörse Nasdaq, hat zudem zu einer massiven Entwertung vieler Unternehmen geführt. Umso wichtiger ist es jetzt, den Biotech-Standort Deutschland langfristig zu stärken. Wir müssen uns mit aller Kraft darauf konzentrieren, unsere technologische Souveränität auch im Bereich der Biotechnologie zu sichern.“

Auf Nachfrage von |transkript.de machte Schacht deutlich, wo er den größten Nachholbedarf für die Rahmenbedingungen in Deutschland sieht: "Im Moment stehen zum Beispiel der Novel-Food Branche oder der Pflanzenbiotechnologie zu viele regulatorische beziehungsweise administrative Hürden im Weg. Auch bei der medizinischen Biotechnologie muss sich noch zeigen, ob wir es schaffen, den Rückstand zum Beispiel bei Gen- und Zelltherapien aufzuholen und bei der Anwendung von CRISPR-Technologien nicht den Anschluss zu verlieren. Hier kann man schon daran zweifeln, dass der Standort Deutschland in allen Bereichen eine herausragenden Rolle einnehmen wird", so Oliver Schacht.

Dr. Viola Bronsema, Geschäftsführerin von BIO Deutschland, richtet mahnende Worte an die Politik: „Bei unseren Unternehmen besteht der Eindruck, dass bei Politikerinnen und Politikern die Rolle der innovativen Biotech-Firmen allzu schnell wieder in Vergessenheit gerät. Das ist fahrlässig, auch und gerade im Hinblick auf zukünftige Herausforderungen.“

Die Umfrageergebnisse gelten als Stimmungsindikator der Branche, dienen aber auch dazu, prognostische Aussagen zu treffen, anhand derer sich – analog zum Ifo-Geschäftsklimaindex – die zukünftige Entwicklung der deutschen Unternehmen einschätzen lässt.

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